Ein neues Tariftreue- und Vergabegesetz für Hessen

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Wir haben uns zuletzt vor ziemlich genau einem Jahr hier über Entwürfe für Vergabegesetze unterhalten. Damals lagen mehrere Entwürfe für ein Vergabegesetz vor. Wir hatten eine sehr gute und sehr aufschlussreiche Anhörung zu dem Thema. Beschlossen aber wurde letztendlich ein schwarz-gelber Gesetzentwurf, der eigentlich eher ein Gefälligkeitsgesetz für die Unternehmerverbände war, weil er nicht viel mehr als das festgeschrieben hat, was ohnehin geltende Rechtslage war. Jetzt haben wir einen neuen Landtag. Für uns bleibt dieses Thema so wichtig, dass wir heute schon den dritten Entwurf eines Vergabegesetzes – –

 

(Unruhe)

 

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: Frau Wissler, einen Augenblick, bitte. – Es ist im Raum sehr unruhig. Bitte lauschen Sie der Rednerin.

 

Janine Wissler (DIE LINKE): Herr Präsident, herzlichen Dank. – Wir haben jetzt den dritten Entwurf eines Vergabegesetzes in den Landtag eingebracht. Den möchten wir gerne diskutieren. Ich will noch einmal klarmachen, um was es hier geht. Kürzlich haben wir alle die Geschehnisse um die Baustelle im Frankfurter Europaviertel verfolgt. Dort mussten mehrere Dutzend rumänische Wanderarbeiter um ihren sowieso schon kargen Lohn bangen. Bereits im Jahr 2012 hat die Gewerkschaft IG Bauen-Agrar-Umwelt die untragbaren Arbeitsbedingungen im Europaviertel publik gemacht. Arbeiter wurden ohne ihr Wissen in die Scheinselbstständigkeit getrieben. Sie wurden mit 13 Personen in eine Dreizimmerwohnung gepfercht und sollten mit 1,09 € Stundenlohn abgespeist werden. Zumindest bei öffentlichen Aufträgen müssen wir solch unwürdigen Zuständen entgegenwirken.

 

(Beifall bei der LINKEN)

 

Wenn wir das für Aufträge der öffentlichen Hand festlegen, dann hat das zwangsläufig auch die Konsequenz, dass sich in der privaten Wirtschaft Dinge grundsätzlich verändern. Denn die öffentliche Hand ist nach wie vor der größte Auftraggeber der Privatwirtschaft. Mehr als 15 % des Bruttoinlandsproduktes gehen auf öffentliche Aufträge zurück. Wir haben die Situation, dass immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten bei ihrem privaten Einkaufsverhalten genau hinschauen. Sie achten nicht nur auf den Preis, sondern beispielsweise achten sie auch darauf, ob etwas Bio oder Fair Trade ist. Aber ausgerechnet der größte Player auf dem Markt, nämlich die öffentliche Hand, legt genau solche Maßstäbe nicht an. Sie legt bisher überhaupt keine sozialen oder ökologischen Maßstäbe bei der Vergabe von Aufträgen an.

 

Wir sind der Meinung: Wer in seinem Unternehmen ausbildet, wer fair einkauft, wer seine Mitarbeiter vernünftig bezahlt, wer ökologisch nachhaltig arbeitet und das dann auch seriös einpreist, darf von der gängigen Ausschreibungspraxis nicht weiterhin benachteiligt werden. Das ist im Moment genau der Fall. Die Ausschreibungspraxis, wie wir sie im Moment haben, belohnt schlechte Arbeitsbedingungen.

 

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

 

Es wird geradezu belohnt, wenn Umweltstandards gebrochen werden. Das geltende Vergaberecht entscheidet sich für das vermeintlich billigste Angebot, statt langfristig zu schauen, was sinnvoll ist und welche Folgekosten entstehen, wenn ökologische und soziale Standards nicht eingehalten werden.

 

(Beifall bei der LINKEN)

 

Das führt dann zu der Situation, dass Busunternehmen in ÖPNV-Vergabeverfahren de facto um den niedrigsten Lohn konkurrieren oder dass in hessischen Kommunen Pflastersteine aus indischen oder chinesischen Steinbrüchen verlegt werden, die teilweise unter denkbar schlechten Umwelt- und Arbeitsbedingungen, teilweise sogar in Kinderarbeit hergestellt werden. Hier könnte das Land mit einem Vergabegesetz einspringen. Hier könnte man einspringen, weil andere Gesetze Lücken lassen.

 

Ich will an dieser Stelle klar sagen: Natürlich wäre ein allgemeiner flächendeckender Mindestlohn besser, weil er nicht nur die öffentlichen Aufträge abdeckt. Aber leider ist er in absehbarer Zeit nicht oder zumindest nur als löchriges Feigenblatt in Sicht. Denn der großen Koalition auf Bundesebene war es offensichtlich ein dringlicheres Anliegen, ihre eigenen Diäten zu erhöhen, als endlich den gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, von dem so viele Menschen in diesem Land profitieren würden.

 

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Walter Arnold (CDU): Na, na, na!)

 

Überhaupt muss man sagen, dass sich die Bundesregierungen der letzten Jahre – um es einmal vorsichtig auszudrücken – nicht mit Ruhm bekleckert haben, wenn es um den Schutz der Arbeitsbedingungen und Tariftreue ging. Das Gegenteil ist sogar der Fall: Der Wettbewerb nach unten wurde durch die immer weitere Liberalisierung des Arbeitsmarktes überhaupt erst ermöglicht. Die Position der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften wurde geschwächt. Die Folge ist, dass wir einen ausufernden Niedriglohnsektor haben. Allein in Hessen arbeiten mehr als 300.000 Menschen zu Niedriglöhnen. Die Bindekraft der Tarifverträge lässt nach. Viele junge Menschen wissen heute gar nicht mehr, was ein sogenanntes Normalarbeitsverhältnis ist, weil sie überhaupt keine unbefristeten Verträge mehr bekommen.

 

Dieses Problem kann ursächlich natürlich nur durch die Bundespolitik behoben werden. Aber auch das Land Hessen hat die Möglichkeit, durch seine Marktmacht als öffentlicher Auftraggeber mehr zu tun, als nur die Symptome zu lindern. Unser Gesetzentwurf orientiert sich an Regelungen, die in anderen Bundesländern bereits in Kraft sind und sich bewährt haben.

 

(Dr. Walter Arnold (CDU): Und beklagt werden!)

 

– Herr Dr. Arnold, sie werden beklagt. Wir werden sehen, was daraus wird. – Ich stelle fest: Auch in Ländern, in denen die CDU regiert, haben wir sehr viel fortschrittlichere Vergabegesetze als hier in Hessen. Sie sollten sich einmal überlegen, was Sie hier für eine Politik machen.

 

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Walter Arnold (CDU): Nordrhein-Westfalen!)

 

Bei den öffentlichen Vergaben wollen wir den geltenden Tariflohn festschreiben. Es soll wenigstens aber einen Mindestlohn von 10 € geben. Das wäre nicht nur für den Einzelnen, sondern für die gesamte Gesellschaft gut. Denn wer von seinem Lohn nicht leben kann, ist gezwungen, aufzustocken. Er muss dann auch seine Rente aufstocken, weil er von ihr einfach nicht leben kann. Wir wollen, dass festgeschrieben wird, dass Unternehmen, die ausbilden, bevorzugt und nicht benachteiligt werden.

 

Wir wollen gerade beim personalintensiven ÖPNV – Herr Dr. Arnold, im Übrigen im Einklang mit dem Recht der Europäischen Union, denn das schöpfen Sie nicht einmal aus – den Betreiberwechsel sozial verträglicher gestalten. Dem Auftraggeber muss die Möglichkeit eingeräumt werden, dass bei einer Übernahme das bisherige Personal zu den gleichen Bedingungen übernommen werden kann. Hätten wir eine solche gesetzliche Regelung, würden nicht gerade 140 Busfahrer im Frankfurter Westen um ihre Jobs bangen. Denn dort ist genau das passiert. Da hat das öffentliche Unternehmen eine Ausschreibung verloren. Die Busfahrer haben jetzt Angst, dass sie entweder gar nicht mehr fahren dürfen oder ab sofort zu sehr viel schlechteren Bedingungen fahren müssen.

 

Es sollte selbstverständlich sein, dass eingesetzte Produkte und Wertstoffe den Kernarbeitsnomen der ILO entsprechend erzeugt werden. Da geht es um die Beseitigung der Zwangsarbeit, um den gleichen Lohn für Frauen und Männer und natürlich darum, dass es keine Kinderarbeit gibt. Dieses Übereinkommen wurde schon 1998 von der Bundesrepublik unterzeichnet. Es ist dringend notwendig, das endlich auch in nationale Gesetze einfließen zu lassen.

 

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Walter Arnold (CDU): Das ist doch nationales Gesetz!)

 

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Wir können entscheiden, ob es ethisch und volkswirtschaftlich sinnvoll ist, immer das vermeintlich Billigste zu kaufen. Wir meinen, Unternehmen, die Lohndumping betreiben und Umweltstandards unterlaufen, sollten nicht noch durch öffentliche Aufträge belohnt werden. Passenderweise ist heute der parlamentarische Abend des DGB. Auch für die Gewerkschaften ist das Tariftreue- und Vergabegesetz ein ganz wichtiges Anliegen.

 

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: Frau Wissler, Sie müssen zum Schluss kommen.

 

Janine Wissler (DIE LINKE): Letzter Satz. – Deswegen sind wir der Meinung, wir sollten es nicht auf die lange Bank schieben. Deswegen hat die LINKE gleich zu Beginn der Legislaturperiode den Entwurf für ein Vergabegesetz vorgelegt in der Hoffnung, dass wir den Lauf der Dinge etwas beschleunigen können. – Vielen Dank.

 

(Beifall bei der LINKEN)